Kriege in Osteuropa
Mittwoch, 09. März 2016
Taktik und Waffengattungen
Provinz- und Grenzverbände - Einführung
Wir haben es an anderer Stelle schon erwähnt, man verliert bei den Provinztruppen leicht den Überblick. In vielen Regionen stellen die Türken lokale Sonder-Einheiten einfach in ihre Dienste, in anderen werden neue, auf besondere Bedingungen in diesem Landesteil abgestellte, Einheiten geschaffen, und bei wieder anderen Verbänden tritt im Lauf der Zeit ein Bedeutungswandel statt. Sei es, daß die Provinz keine Grenz-Region mehr ist, sei es, daß eine andere, eine neuere Truppe an die Stelle der alten tritt. Gar nicht erst zu reden vom Gefolge des jeweiligen Statthalters.
Provinztrupppen müssen dem Sultan im Kriegsfalle zugeführt werden. Als das Osmanische Reich zu groß geworden ist, ruft man nur noch die zu sich, die nicht allzu weit vom Ziel des Feldzuges entfernt liegen. Es hätte auch wenig Sinn, Soldaten aus dem heutigen Jemen anzufordern, wenn es gegen die Habsburger in Kroatien geht.
Bild links: Sultan Murad III mit seinem Heer auf dem Feldzug nach Revan (Eriwan) und Tebriz (Täbris). Beachte die Vielzahl unterschiedlicher Truppen. - Aus der Shahin-Shah-nama oder Sehinsehname, von Seyyid Lokman, 1595-97. Gemeinfrei
Eine Armee hat von Istanbul bis nach Kroatien über 70 Tage gebraucht – bei guten Straßen- und Wetterverhältnissen – allerdings sind darin auch zwei längere Wartezeiten eingerechnet, die es braucht, bis die Provinztruppen aus den rumelischen (europäischen) Provinzen am vereinbarten Ort dazugestoßen sind.
Provinz-Statthalter dürfen allerdings auch ihre eigenen, örtlich begrenzten Kriege führen, setzen dazu die bei ihnen stationierten Janitscharen
und Sipahi ein, dazu die eigenen regionalen Verbände, und wenn das noch nicht reicht, werden aus der Bevölkerung Freiwillige genommen (wodurch dann in irgendwelchen Quellen neue Verbände
auftauchen). Wie wir in der letzten Folge gelesen haben, gehen die Janitscharen irgendwann in den militärischen Bestand einer Provinz über.
Aber es gibt auch Provinztruppen, die bei allen Feldzügen dabei sind, und derer wollen wir uns gesondert annehmen. Der Einfachheit halber unterscheiden wir hier zwischen (überregionalen) Provinztruppen und (regionalen) Grenztruppen.
Bild
links: Osman Pas(ch)a and Ja'far Pas(ch)a, der Statthalter des Sultans über Schirwan in
einer Schlacht gegen Kosaken. Die Kosaken sind die Herren rechts in Grau und Braun. Schirwan liegt im Ost-Kaukasus am Kaspischen Meer.
Kaum vorstellbar, daß jemals eine Kosaken-Schar bis dorthin vorgedrungen ist.
Wir dürfen also vermuten, daß Statthalter an der Spitze ihrer Truppen zum Heer des Sultans gestoßen sind. – Aus der Shahin-Shah-nama von Nakkas Osman 1597
Überregionale PROVINZTRUPPEN
Azep/Azab/Azepine („Junggesellen“) die leichte und mittlere Infanterie, die ursprünglich vom Sultan besoldet wird. Ab dem 16. Jahrhundert rekrutiert man sie aus den grenznahen Provinzen, und der jeweilige Statthalter muß jetzt für ihren Sold aufkommen. Es gibt zwei Arten von Azabs, die (Land-)Infanterie und die Seeleute, bzw. Marineinfanterie. Azabs stehen in der Schlacht vor den Janitscharen und sind ähnlich diesen in Ortas eingeteilt (s. Folge IV). Ebenso schießen sie. Darüber hinaus sind sie mit Schwert, Holzkeule und teilweise mit Kettenhemd ausgestattet. Mitte des 15. Jahrhunderts beträgt ihre Anzahl 12 000 (je 6000 aus den beiden Reichsteilen Rumelien und Anatolien); nach anderen Quellen soll ihre Anzahl 20 000 betragen haben. Mitte des 16. Jahhunderts zählt man 30 000 Azabs, danach schwindet ihre Bedeutung. Sie verkommen zu Festungs-Besatzungen, und an ihre Stelle treten die Sekban, bis auch diese zu einem disziplinlosen Haufen abgesunken sind und Ende des 17. Jahrhunderts durch die Tüfekschi-Musketiere ersetzt werden.
Bild links: In der Mitte der Sultan (gelber Mantel), an seinen Seiten die Elite-Reiter, vor ihm die Kanonen und die Janitscharen
Sekban, sind türkische Truppen (im Gegensatz zu den aus Christen herangezogenen Janitscharen), die jedoch nie die Bedeutung der Janitscharen erlangen. Sie werden ähnlich diesen organisiert und stellen einen hohen Anteil am osmanischen Heer. Anfangs führen sie keine Schußwaffen, doch als die Kriegführung immer mehr Gewehre verlangt, rüstet man auch die Sekban damit aus. Das Problem mit den Sekban ist, daß man zu viele von ihnen zu Feldzügen heranzieht. Nach dem Ende eines solchen haben sie oft Schwierigkeiten, ins Zivilleben zurückzufinden, und bilden Räuberbanden oder meutern. Als ihr Name nur noch synonym für Diebsgesindel steht, gründet das Reich die Tüfekschi, reine Schützen-Verbände (s.o.). Sekban wie Tüfekschi werden wie Azab oder als Plänkler vor der Front eingesetzt.
Gönüllü („Begeisterte“) sind Freiwillige, die gegen Sold Dienst in Festungen und Garnisonen tun. Sie werden auch außerhalb von Befestigungen als Bewachung eingesetzt und sind ungepanzert, tragen ansonsten aber alle Arten von Waffen.
Yornuks, worunter man christliche Hilfstruppen versteht. Vor allem Serben, Bulgaren und Walachen, deren in Abhängigkeit vom Sultan stehende Fürsten im Kriegsfall Soldaten stellen müssen. Yornuks sind oft gut bewaffnet und mit Kettenhemden geschützt, wenn sie nicht sogar Rüstungsteile besitzen. Ab dem 16. Jahrhundert gehen die meisten Vasallenstaaten direkt ins Osmanische Reich über, und deren Soldaten werden wie normale Reichssoldaten eingesetzt.
Yayas (Jajas) ist eine im 14. Jahrhundert entstandene Truppe, eigens zum Zwecke der Festungsbesatzung gegründet. Bald werden diese Einheiten auch im Feld eingesetzt, gehen aber später in den Azabs und den Janitscharen auf. Aus dem Rest entstehen im 15. Jahrhundert Baupioniere, die für den Bau und Erhalt von Straßen und Brücken eingesetzt werden. Ähnliche Aufgaben haben auch die Müsellemler (worin die beiden Einheiten sich voneinander unterscheiden, ist uns noch unentdeckt geblieben)
Icareli sind Provinz-Artillerie. Städte mit eigener Festung und Kanonen darinnen werden mit Artilleristen aus Ortsansässigen besetzt (ihre Offiziere schickt man nach Istanbul, um sie dort ausbilden zu lassen).
Lagimdschilar sind Mineure in den Grenz-Festungen und dazu da, Minengräben des Feindes zu bekämpfen, indem sie Gegen-Minen graben. Ihre Offiziere und Spezialisten werden im Kriegsfall von der Zentral-Regierung in Istanbul geschickt und bleiben oft in Friedenszeiten dort, bis sie in den späteren Jahrhunderten ganz dort einziehen.
Bild links: Sekban Schützentruppe der Provinzen
REGIONALE GRENZTRUPPEN
Es folgen einige Einheiten, die nur in einer bestimmten Region zuhause sind.
Armatloi (Armatolen) und Klepht
Noch aus byzantinischer Zeit stammt die Truppe der Armatloi, daher der griechische Name, und sie steht für eine Mischung aus Militär und Polizei. Entstanden in Thessalien wird sie bald überall dort in Griechenland eingesetzt, wo das Bandenunwesen (die Klephts) um sich greift. Dabei kommt es durchaus vor, daß die byzantinische Verwaltung einen ehemaligen Klepht zum Offizier der Armatloi einer Region bestellt und überhaupt die Polizisten wie die Räuber organisiert sind. Der Offizier erhält zum Lohn ein Land-Lehen. Ist der Statthalter fern, läßt sich der Anführer der Armatloi auch gern wie ein Fürst in seinem Bezirk nieder und erhebt von „seiner“ Bevölkerung eigene Steuern. Nach der Eroberung Griechenlands im 15. Jahrhundert übernehmen die Osmanen das bestehende Armatolen-System, und im 18. Jahrhundert gibt es neunzehn Armatolika (Militärpolizei-Regionen: zehn in Thessalien und Ost-Zentral-Griechenland, vier in Epirus, drei in Makedonien, eine in Ätolien und eine im westgriechischen Akarnanien). Auf dem Peloponnes bestehen aus dem byzantinischen Erbe eigene Truppen, die Kapoi und die Meintaniden, die sich organisatorisch aber nur wenig von der Armatolen unterscheiden.
Nachdem die Feuerwaffen sich durchgesetzt haben, sind diese Verbänden vornehmlich mit der Karafili-Muskete bewaffnet, einem typischen orientalischen Gewehr mit gebogenem Kolben und langem Lauf. Klepht und Armatolen kämpfen beide aus Hinterhalten und mit Guerilla-Taktiken, und nicht nur in dieser Hinsicht sind sie irgendwann für die Türken nicht mehr zu unterscheiden; endgültig verwischen sich alle Unterschiede, als die Griechen 1821 anfangen, für ihre Unabhängigkeit zu kämpfen und sich Klepht wie Armatolen gleich der Sache der Freiheit anschließen. Für wen sich Klepht und Kleptomanie ähnlich anhören, der liegt gar nicht mal falsch, beide Begriffe haben miteinander zu tun.
Martolos
Diese Militärpolizisten entstammen ebenfalls dem byzantinischen Reich und sind dann von den Osmanen übernommen worden. Bei ihnen handelt es sich um auf dem Balkan lebende Christen unter türkischer Herrschaft, die einige Sonderrechte genießen. Die Osmanen bedienen sich gern solcher Truppen auf lokaler Ebene, weil sie mit der Mentalität der Unruhestifter und Banditen besser zurechtkommen. Diese Militärpolizei wird gern auch in grenznahen Gebieten eingesetzt, und als im 17. Jahrhundert immer mehr Martolos zum Islam konvertieren, setzen die Türken sie im Kampf gegen die Haiduken, die Freiheitskämpfter im ungarischen Raum ein. Weil aber etliche der Martolos zu den Haiduken überlaufen, streicht ihnen der wütende Sultan die Sonderrechte, und 1722 wird der ganze Verband aufgelöst und bei den neuentstandenen Panduren eingegliedert.
Derwendschi
Wir haben es hier mit Wachtruppen zu tun, die im gesamten Balkanraum, vornehmlich aber in Grenznähe, Gebirgspässe und Wege durchs Gebirge zu bewachen haben. Zu ihren Aufgaben gehört es auch, Handelszügen oder Reisenden Geleitschutz zu geben. Ihre Feinde sind in der Regel Räuberbanden oder Haiduken (s.o.). Oftmals wird ein ganzes Dorf zum Derwendschi-Dienst herangezogen und erhält dafür Vergünstigungen; deshalb ist dieser Dienst sehr begehrt.
Martolosi und Wojnussi
Diese beiden Verbände kommen hauptsächlich in Bulgarien vor, und ihre Aufgabe besteht darin, die Armee des Sultans oder des Großwesirs während eines Feldzuges zu versorgen. Sie begleiten und schützen den Troß während dessen Zug durch ihr Gebiet und sie schicken den Soldaten Lebensmittel aus der Region.
Wird fortgesetzt
Dies sind nur einige Stichproben aus den regionalen und Grenztruppen, mit dem Schwerpunkt auf Europa; ähnliches findet sich auch in den anderen Reichsteilen, vor allem im südlichen Kaukasus und anderen Gebieten an der persischen Grenze. Im nächsten, und vermutlich letzten, Teil geht es um Veränderungen im osmanischen Heer im 17. Jahrhundert und um eine Bildergalerie der mittlerweile zur Verfügung stehenden osmanischen Plastikfiguren (und dann sind wieder die anderen Epochen dran). Wer sich über die historischen Provinzen des Osmanischen Reiches kundig machen will, schaue bitte hier nach: https://sites.google.com/site/sobottamagdeburg/Home/themen/laender-gebiete-und-provinzen-des-osmanischen-reichs