Spät-Renaissance, 1470 - 1560
Mittwoch, 23. August 2017
Bild oben: Film-Szene oder Photographie unbekannter Herkunft, die recht anschaulich das Schlachtgetümmel zeigt.
Einführung
Mit dem Jahr 1519 schreiben wir schon Neuzeit, und es geht um neue Dinge: Um der Zerstückelung der Territorien entgegenzuwirken und die eigenen Finanzen zu sanieren, setzen größere Fürsten die kleineren vor die Tür, welche bei ihnen ein Gut, eine Burg, ein Dorf oder dergleichen gepachtet haben. Die Pächter sind davon nicht erbaut, verlieren sie damit doch ihre Existenzgrundlage. So handelt zum Beispiel auch der Bischof von Hildesheim, Johann IV. Etwa 60 Stiftsadlige (so nennt man diese Kleinadligen) suchen nach starken Verbündeten, die ihnen gegen den Hildesheimer Bischof beistehen. Selbige finden sie in Herzig Heinrich dem Jüngeren von Wolfenbüttel und seinen Brüdern, darunter die Bischöfe von Minden, Franz, und von Verden und Bremen, Christoph. Der Onkel, Herzog Erich von Calenberg, macht auch mit, und somit ist fast der gesamte Braunschweiger-Zweig der Welfen-Familie versammelt. Deswegen nennt man sie in der Fachliteratur auch die „Braunschweiger“, und wir übernehmen das gern. Nun haben die Braunschweiger noch ein paar eigene Rechnungen mit dem Hildesheimer Bischof offen und müssen deswegen nicht lange überzeugt werden, seinen Stiftsadligen beizustehen.
Bild links: Diese wie alle folgenden Abbildungen sind der hervorragenden Seite http://www.ritter-topf-deckel.de/das-festspiel-und-die-geschichte-dahinter.html entnommen. Beachte bei diesem Stich den Lanzierer links und den gepanzerten Kürassier rechts. Alle schweren Reiter tragen Dreiviertel-rüstungen.
Der Hildesheimer Bischof sieht sich nun lieber ebenfalls nach Verbündeten um und findet ihn in Gestalt von Herzog von Lüneburg,
Heinrich dem Mittleren. Das fällt nicht schwer, denn der Sohn des Lüneburgers, Franz, wird sogleich zum späteren Nachfolger von Bischof Johann gewählt. Heinrich der Mittlere bringt noch seinen
Schwiegersohn, Karl von Geldern, mit ins Bündnis, und damit hätten wir die Partei der „Lüneburger“. Pikante Note dabei, hier finden sich ebenfalls Mitglieder der Welfen-Familie, allerdings aus
einem anderen Zweig.
Und um dem Ganzen eine reichsweite Bedeutung zu verleihen, stehen beide Parteien auf verschiedenen Seiten bei der anstehenden
Kaiserwahl. Maximilian ist verstorben, Karl von Habsburg (der spätere Karl V.) soll es nach dem Willen der einen Seite werden, die andere neigt eher dem französischen König Fanz I. zu. Wir
erwähnen dies vor allem, weil dieser Gegensatz das Ergebnis der Schlacht im nachhinein umkehrt.
Somit ist alles Wesentliche für einen ordentlichen Krieg geklärt, und der geht dann auch bald als die „Hildesheimer Stiftsfehde“ in die Geschichte ein. Hauptschlacht ist die bei Soltau, und um die wollen wir uns heute kümmern.
Hildesheimer Stiftsfehde
Bereits 1518 erklärt Burchhard von Saldern, der Anführer der Hildesheimer Stiftsadligen, seinem Landesherrn, Bischof Johnn IV., die Fehde, und es kommt zur – vergeblichen – Belagerung von Burg Lauenstein.
Im Frühjahr des Jahres 1519 greifen die „Lüneburger“ zu den Waffen und fallen in das Stift Minden ein, wo der Bruder vom
Braunschweiger, Bischof Franz, regiert. Sie ziehen weiter in das Calenbergische, zwischen dem Berg Deister und dem Fluß Leine, und beschießen sogar Burg Calenberg, die Festung von Herzog Erich.
Das ist kein Spaziergang, Dörfer und Güter werden niedergebrannt und ausgeplündert, ganz zu schweigen von den üblichen Vergehen an der Zivilbevölkerung.
Herzog Heinrich der Jüngere, Herzog Erich von Calenberg und Bischof Franz (der rechtzeitig aus seiner Stadt fliehen konnte; die Bürger haben, kaum daß er fort war, dem Feind sofort die Tore geöffnet) vergelten Gleiches mit Gleichem und fallen sengend, schändend und mordend ins Lüneburgische ein. Aus Frankfurt/M., wo die sieben Kurfürsten zusammengekommen sind, um über die Wahl des neuen Königs des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation zu beraten, ergehen dringende Friedensanforderungen an die Streithansel. Die Lüneberger schicken nach einer Niederlage bei Hildesheim ihre Truppen auch tatsächlich nach Hause, die Braunschweiger denken nicht daran und ziehen mit ihren Soldaten alles verheerend durch das Lüneburgische. Am 10 Juni erobern und plündern sie Burgdorf, am 14.6. Burgwedel, dann Fallersleben, Gifhorn usw. usf. So erklären sich dann auch die 1000 mit Beute beladenen Wagen in ihrem Heerzug. Inzwischen rüsten die Lüneburger wieder auf. Am 26. 6. erreichen die Braunschweiger die Oertze, einen 10 Meter breiten und 1 Meter tiefen Fluß, dessen Durchquerung ihnen große Mühe bereitet. Doch gerade diese erspart ihnen die vorzeitige Begegnung mit den Lüneburgern.
Drei Wochen lang hat Herzog Heinrich der Mittlere von Celle aus zusehen müssen, wie die Feinde sein Land verwüsten. Dann
endlich sind die Truppen aus Schaumburg, Hildesheim und Geldern e1ingetroffen. Man läßt allen Troß zurück, um den Gegner zu stellen, bevor dieser auf Verdener Gebiet gelangen kann und sich in
Sicherheit befindet, zusammen mit der Beute im Troß.
Dann am 28. Juni d.J. stehen sich beide Heere oberhalb von Soltau gegenüber, und es kommt zur Schlacht.
Die Braunschweiger führen 7000 Fußsoldaten mit sich, die sich zusammensetzen aus 4000 Ausgehobenen (Stadtbürger und noch mehr Bauern mit den unterschiedlichsten Waffen aus den beiden Herzogtümern) und 3000 Landsknechten (Söldner vornehmlich aus Norddeutschland; wir finden hier eine der Vorformen der Uniformierung, wie sie im ganzen 16. Jahrhundert zu beobachten sind: die Landsknechte aus Northeim und Göttingen sind alle in Weiß und Rot gekleidet). Dazu 700 „gepanzerte“ Reiter, also im wesentlichen Kürassiere und Lanzierer.
Weiters 24 Kanonen, von denen 10 schwere Belagerungsgeschütze sind, die restlichen 14 für eine Feldschlacht taugliche Kanonen.
Letztlich ein Troß von 2000 Wagen (davon die Hälfte mit Beute beladen, die Kriegskasse der Braunschweiger ist ebenfalls darunter).
Die Lüneburger verfügen ebenfalls über 7000 Fußsoldaten und 1500 Reiter, wohl
gleichfalls von der „gepanzerten“ Sorte. Immerhin bewähren sie sich in der kommenden Reiterschlacht und werden kaum schwächer ausgestattet gewesen sein als ihre Gegner. Die Lüneburger hatten auch
Geschütze, doch über deren Anzahl ist nicht das Geringste bekannt.
Beide Seiten dürften über berittene Arkebusiere verfügt haben, auf 4 Gepanzerte wird demnach 1 Arkebusier zu Pferd gekommen sein. – Ebenso bei den Landsknechten, wo ein Fünftel der Truppe aus Bidenhandern und Arkebusieren bestanden haben dürfte.
Marschordnung
Armeen jener Zeit (das gilt bis weit in den Dreißigjährigen Krieg hinein) sind in Schlachtordnung marschiert, d.h. wenn sie
unterwegs angegriffen werden, können sie vom Marsch aus direkt in Schlachtordnung aufziehen. Beispiel Braunschweiger: In der Vorhut befinden sich die 14 leichten Geschütze, die Infanterie-Vorhut
(„Rennefähnlein“) marschiert 60 Mann breit und 25 Mann tief (also insgesamt 1500 Soldaten) heran. Hinzu kommt der „Vortrab“, 300 Reiter 30x10 Mann. – Als nächstes der „Gewalthaufen“ (auch
„gewaltiger Haufen“), das Hauptheer sozusagen, mit 120 Mann in der Breite und 40 Mann in der Tiefe. An einer der Flanken desselben die Kavallerie zu 35x12 Reitern. Dann die Nachhut mit den
restlichen Fußknechten; der Troß folgt in einer langen Zweierreihe, wobei die vorderen Wagen Munition, Ersatzteile und Pioniergerät befördern. Die Belagerungsgeschütze fahren in der Regel
zwischen Hauptheer und Nachhut. Wenn noch Reiterei übrig ist – wie hier nicht der Fall – so flankiert sie die Nachhut.
Udo Stanelle erklärt in seinem Aufsatz „Die Schlacht bei Soltau“ (a.a.O.) zur Artillerie:
„ … Angaben über die verschiedenen Typen … : 1 Scharfmetze, 4 Kartaunen, 1 Steinbüchse, 1 Mörser, 2 Notschlangen, 1 (Feld-)Schlange und14 Schlangen3 5; die ersten 5 Typen — also 10 Kanonen — waren schwere Belagerungsgeschütze36, Feldschlangen und die verschiedenen Arten von anderen
Schlangen (Halbe Schlangen, Falkone, Falkonette3 7) hatten im Verhältnis zu den Belagerungsgeschützen längere Rohre und wurden
in der Feldschlacht eingesetzt.“
Quellen
Und natürlich fehlt auch heute unsere Jammer- und Mecker-Ecke nicht. Dabei können wir uns dieses Mal kaum beklagen. Hervorrgend und ungemein sachkundig ist
Udo Stanelle: Die Schlacht bei Soltau. In: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte. Bd. 54, 1982, S. 153–188 (PDF)
Ein Zeitungsbericht arbeitet die Kernpunkte der ganzen Soltauer Vorfälle heraus:
Und mit viel Liebe und Akribie zusammengestellt ist der reich bebilderte Bericht über die Festspiele in Soltau:
http://www.ritter-topf-deckel.de/das-festspiel-und-die-geschichte-dahinter.html
Weniger empfehlenswert (und das kommt in letzter Zeit leider häufiger vor) ist die Wikipedia-Seite zu „Soltau 1519“. Der Verlorene Haufen besteht aus Scharmützlern, ist aber keineswegs die Vorhut (und unter „Vortrab“ versteht man eine Vorhut aus Berittenen).