Spät-Renaissance, 1470 - 1560

 

Sonntag, 19. April 2015

OBERITALIENISCHE KRIEGE

1522 Schlacht bei Bicocca
von Marcel Bieger

 

Einführung:

Seit Jahrzehnten schon ringen Frankreich, die Schweiz, die italienischen Staaten und der deutsche Kaiser um die Herrschaft über Oberitalien. Einer der Zankäpfel ist das Herzogtum Mailand. Gerade hat Frankreich die Stadt – nach sechsjähriger Besetzung – verloren und rüstet ein neues Heer, um sich wieder in den Besitz derselben zu bringen.

        In der französischen Armee kämpfen Tausende Schweizer Söldner mit, die berühmt-berüchtigten Reisläufer, die als unbesiegbar gelten. Doch sie werden nur unregelmäßig entlohnt, und als auch noch der Nachschub an Vorräten ausbleibt, drohen sie mit Meuterei und Abzug. Will der französische König die Unterstützung der Schweizer nicht verlieren, muß er rasch die Schlacht suchen. Der kaiserliche Oberbefehlshaber Colonna tut ihm den Gefallen aber nicht und zieht sich immer wieder zurück bis nach Mailand. Franzosen und Schweizer rücken auf die Stadt an, und Colonna zieht ihnen bei Bicocca entgegen, einem Jagdschlößchen unweit von Mailand. Er hat die Stadt mehr oder weniger im Rücken.

 

Die Armeen:

Oberbefehlshaber der französisch-schweizerischen Armee ist Odet de Foix, der Vicomte de Lautrec. Ihm unterstehen 16 000 Schweizer, 12 000 Franzosen und 3 000 verbündete Italiener (in der Hauptsache aus Venedig). Das Heer verfügt über 14 Geschütze. Und hier scheiden sich schon die Geister, andere Quellen billigen den Franzosen und ihren Verbündeten nur 19 000, wieder andere weit über 30 000 Soldaten zu; wir folgen hier aber der Mehrheitsmeinung von 31 000). – Auf Seiten des Kaisers stehen 10 000 Landsknechte unter Georg von Frundsberg, 4 000 spanische Schützen (Arkebusiere) und 4 000 verbündete italienische Reiter. Den Oberbefehl hat der bereits erwähnte Prosper Colonna. Die Anwesenheit der Spanier erklärt sich darin, daß der Kaiser Karl V. nicht nur über das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, sondern auch über Spanien gebietet.

 

Aufstellung zur Schlacht:

Die Kaiserlichen nehmen hinter einem breiten Hohlweg Aufstellung. Die Arkebusiere stehen vier Reihen tief fast unmittelbar am Rande des Hohlwegs – sie sollen die Schweizer „recht lebhaft“ beschießen, ein Stück hinter ihnen die Landsknechte und rechts von diesen die italienischen Verbündeten. Vor der Landsknechte-/Italiener-Front stehen die Geschütze, mehr „Stücke“ als beim Gegner. Für die Gewehrschützen hat man sich eine neue Taktik ersonnen: Sobald die erste Reihe geschossen hat, läßt sie sich zu Boden fallen, um dort neu zu laden; nun feuert die zweite Reihe, wirft sich dann ebenfalls hin und so weiter. Sobald die vierte Reihe gefeuert hat, steht die erste wieder auf, um und der ganze Vorgang wiederholt sich.

Der linke Flügel dieses Aufmarsches ist durch einen Sumpf geschützt, der rechte durch Bewässerungskanäle. Doch ein Stück weiter spannt sich eine Steinbrücke über die Wasserwege. 6 000 Mailänder unter Francesco Sforza (der unmittelbar nach der Schlacht zum neuen Herzog eingesetzt wird) stoßen zu den Kaiserlichen, und die schickt Colonna zur Steinbrücke, um sich jenseits davon zu postieren. Der Kampfwert dieser Bürgermiliz ist gering, er hofft, daß sie durch ihre schiere Masse Gegner abschreckt.

        Die Schweizer treten gegenüber dem Hohlweg in zwei „Gewalthaufen“ zu je 7 500 Mann (100 pro Reihe und 75 Glieder tief). In ihren Reihen marschieren etliche gepanzerte französische Adlige mit, um die Spießträger an den Flanken und vor gegnerischen Nahkämpfern zu schützen. Der Vicomte de Lautrec schickt 300 schwere Lanzenreiter („Gendarmes“, zu deutsch: Lanzierer) und 500 italienische Fußsoldaten zu der Steinbrücke über die Kanäle, um sie zu nehmen und ins kaiserliche Lager vorzustoßen. Er selbst will mit der restlichen französischen Reiterei und der französischen Infanterie (im wesentlichen Schützen – hauptsächlich Armbrust – und Spießträger von mäßiger Qualität; nicht umsonst bedienen sich die Franzosen gern der Schweizer) die linke Flanke der Kaiserlichen umgehen und ebenfalls in deren Lager vorstoßen. Lautrec hält aber eine starke Reserve zurück.

 

Die Schlacht:

Die Schweizer sind Söldner und meist nur für wenige Monate oder gar nur sechs Wochen gemietet. Ihre Frist ist mittlerweile fast abgelaufen, sie sind bislang nur marschiert, haben nicht „geschlagen“ und haben außerdem noch kaum Sold erhalten. So drängen sie auf den Kampf, wollen Mailand nehmen, um die Stadt zu plündern oder „Kontributionen“ (sie lassen sich die Plünderung abkaufen) und nicht ganz mit leeren Händen nach Hause zu kommen. Begleitet von leichter italienischer Reiterei (die „Stradioti“ der Venzianer) rücken sie auf den Hohlweg vor und werden gleich von „lebhaftem“ Arkebusen- und Kanonenfeuer empfangen. Ganze Reihen brechen zusammen, und als sie den Hohlweg erreichen, sind bereits 1200 von ihnen liegengeblieben. Doch selbst davon lassen sich die Schweizer nicht aufhalten. Als sie durch den Graben eilen, werden sie – von oben – noch treffsicherer beschossen. Dennoch gelingt es etlichen Schweizern, an der anderen Seite des Wegs hochzuklettern. Die Gewehrschützen, die im Nahkampf gegen Pikeniere chancenlos sind, nutzen die Verwirrung unter den Schweizern (deren gesamte Formationen sind ja durch den Graben und die vielen Ausfälle durcheinandergeraten), um sich hinter die deutschen Landsknechte zurückzuziehen. Noch während die Schweizer sich sammeln rücken die Landsknechte schweigend (psychologische Kriegführung!) gegen die „Reisläufer“ vor. Mit erhobener Pike kommt es zum Kampf Mann gegen Mann. Als die Schweizer ihren Oberbefehlshaber, viele Offiziere und vorsichtig geschätzte 3 000 Mann verloren haben, geben sie die Schlacht verloren und verlassen geordnet und mit den 14 Kanonen, aus denen heute kein Schuß gekommen ist, die Stätte.

 

Die Steinbrücke:

Die Schweizer sind längst fort, als die 300 Lanzenreiter die Steinbrücke erreichen und davor die 6 000 Mann der Mailänder Bürgerwehr erblicken. Die französischen Panzerreiter greifen sofort an und treiben die Italiener zurück (zu jener Zeit ein ungleicher Kampf zwischen schwerer Kavallerie und Miliz). Doch denen kommen einige „Fähnlein“ (Kompanien) Landsknechte zu Hilfe und können die Brücke so lange halten, bis von Frundsberg mit der Hauptmacht der Landsknechte und Arkebusiere heranrückt. Die französischen Reiter ziehen sich unter schweren Verlusten zurück.

 

Rückzug:

Der Vicomte hat inzwischen von der Niederlage im Zentrum und an der Steinbrücke erfahren, bläst seinen Angriff am anderen Flügel ab und befiehlt den Rückzug. Die spanischen und italienischen Schützen verfolgen die Franzosen und deren Verbündete, bis die französische Reiterei kehrtmacht und die lästigen Arkebusiere vertreibt. Prosper Colonna wirft ihnen seine Reiterei entgegen, um zu verhindern, im letzten Moment doch noch eine Niederlage zu erleiden. Frundsberg hat seine Landsknechte zurückgehalten, denn es stehen beim Feind ja immer noch etliche tausend Mann in Reserve.

 

Nachklang:

In der Schlacht von Bicocca haben sich zum erstenmal Gewehrschützen den Schweizer Pikenieren als überlegen erwiesen, und so werden Feuerwaffen in den folgenden Jahrzehnten immer wichtiger. Spätestens nach dieser Niederlage geben die Schweizer alle Expansionspläne auf und verabschieden sich als Großmacht.